Peter Urban-Halle, Neue Zürcher Zeitung
DIE UNSTERBLICHEN KÖNIGE VON ROSKILDE
Peter Urban-Halle, oversætter og anmelder, har lavet et portræt af det lille forlag i Domkirkebyen som udgiver forfattere der får store priser. Neue Züricher Zeitung 17.12.2009
Als Herta Müller im Oktober den Literaturnobelpreis zugesprochen bekam, beichtete ihr Münchner Verleger Michael Krüger vom Hanser-Verlag seine grosse Schwäche (von der alle längst wussten): Er sei ein unheilbarer Nobelpreisträger-Sammler und hoffe natürlich jetzt auch noch, dass sich die Schwedische Akademie endlich besinne und den Preis im nächsten Jahr dem US-Amerikaner Philip Roth verleihe. Unter die Ägide Krüger fallen die Preisträger Brodsky, Walcott, Pamuk, Le Clézio (mit dem Roman «Der Afrikaner») und eben Herta Müller; Canetti kriegte ihn 1981, damals war Krüger «nur» Lektor.
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Von der bayrischen Metropole mit den vielen grossen Verlagshäusern schauen wir in die dänische Kleinstadt Roskilde, in der es dann auch nur einen, und zwar kleinen Verlag gibt. Kleinverlage können von Prominenten ohne Ende, wie Hanser sie hat, nur träumen. Normalerweise. Aber hier in Roskilde gibt es den Verlag Batzer & Co., einen Ein-Mann-Verlag, das «Co.» steht für die Freunde, die den Verlag «con amore» unterstützen. Der Chef, Arild Batzer, kam 1970 aus Norwegen, die Liebe verschlug ihn nach Roskilde. Im dortigen Dom also liegen die toten Könige, in seinem Haus stehen sie und sind unsterblich, es sind literarische Könige: Herta Müller, Imre Kertész, Per Pettersson und noch einige andere, es ist wirklich erstaunlich, was sich hier alles so unter einem Dach versammelt.
Herta Müllers «Der Mensch ist ein grosser Fasan auf der Welt» war am Tag der Nobelpreis-Bekanntgabe zwei Wochen auf dem Markt, damit war er der einzige lieferbare Müller-Titel in Dänemark, 80 Exemplare hatte Batzer davon verkauft. 24 Stunden später war die ganze erste Auflage weg, 600 Stück, damit waren immerhin die Ausgaben gedeckt. Mittlerweile hat das Buch drei Auflagen in 3500 Exemplaren. Eine «Sonnenscheingeschichte», sagt Arild Batzer. Herta Müller erschien zunächst bei einem kleinen Verlag, dann beim Branchenriesen Gyldendal, ihre Titel liefen schleppend, den «Fasan» wollte gar keiner mehr machen, also ging Übersetzer Karsten Sand Iversen nach Roskilde, und Batzer schlug zu, die Rechte kaufte er direkt bei der Autorin. Die «Atemschaukel» hat sich wieder Gyldendal gesichert.
Aber Batzer hat noch andere Grössen im Programm. Sein zweiter Nobelpreisträger ist Imre Kertész mit sechs Titeln, vom «Roman eines Schicksallosen» bis «Dossier K.»; am 9. November wurde Kertész 80, da wurde in der Roskilder Ringstedgade auf ihn angestossen. Der Kontakt zu Kertész kam durch die Empfehlung des in Berlin lebenden schwedischen Autors Ulf Peter Hallberg zustande (dessen «Blick des Flaneurs» erschien auch bei Batzer). Das war 2001, ein Jahr später erhielt Kertész die hohe Auszeichnung aus Stockholm. Arild Batzer trocken: «Wer den Nobelpreis bekommen will, sollte zu mir kommen. Dann wird das auch was.» Vielleicht sammelt er ja auch.
Ein weiterer literarischer und unsterblich gewordener König ist Per Petterson, der im Frühjahr für seinen grossen Roman «Ich verfluche den Fluss der Zeit» den Nordischen Literaturpreis erhielt. Zwei grosse Preise in einem Jahr, das schafft selbst Gyldendal mit 500 Angestellten nicht. Geld schiesst keine Tore, sagt man im Fussball, eine manchmal zweifelhafte Weisheit. Aber in der Literatur kann man jedenfalls sagen: Geld ersetzt nicht das Näschen. Natürlich gibt Batzer auch «sichere» Klassiker heraus: Voltaire, Rimbaud, Hesse, Kafka, Camus und viele andere. Oder so einen Visionär wie Blake, Visionär wie der Verleger selbst.
«Warum sind es immer die Outsider, die für das Zentrale sorgen müssen?», hat sich der dänische Autor Kristian Detlev Jensen («Leibspeise») in einem Artikel über Batzer gefragt. Und meinte damit vielleicht auch Batzer selbst. Denn der ist ein wagemutiger Visionär, ein 500-seitiger Wissenschaftsthriller wie Gert Nygårdshaugs «Propst Gotvins Geometrie» («besser als Dan Brown», sagt Batzer bescheiden) fällt da eher aus dem Rahmen. Norweger wie Jon Fosse und Hanne Ørstavik passen schon eher. Oder der alte Pole Bruno Schulz oder der junge Deutsche Kevin Vennemann mit dem Roman «Nahe Jedenew».
Man meint hier nun doch einen roten Faden zu sehen, vielleicht könnte man es das Visionäre im Vergangenen nennen oder das Vermögen, Einspruch zu erheben. Batzers Bücher haben einiges mit ihm selbst, aber auch mit seiner Familie zu tun, sein Vater, ein Seemann und Typograf, war im Krieg im Widerstand. Aber ein roter Faden garantiert noch keinen Nobelpreisträger. Dazu braucht man eben das Näschen und viel Glück und eine Portion Eigensinn. Arild Batzer lebt frei nach dem Enzensberger-Motto: «Wir geben nur die Bücher heraus, die wir selber gerne lesen möchten.»